Oh Kartoffel!

Ich komm mit unserer Hündin zurück von einem langen Spaziergang. Sie mochte heute nicht richtig laufen – mich dünkt, sie war heute noch träger als sonst. Ja, sie wird alt. Grosse Hunde haben eine kürzere Lebenserwartung als kleine. Das weiss man. Schon mittags um zwei Uhr schreckt sie aus dem Tiefschlaf auf und streckt mir ihr stark ergrautes Gesicht und die weissen Pfoten entgegen. Dann weiss ich, dass sie den Zenit überschritten hat.

Ich mein es wär gestern gewesen, als sie bei uns einzog. So ein süsses Hündchen, caramelfarben mit einem XXL-Kurzhaar-Kleid. Dass aus diesem faltenreichen «Knuddeltier» einmal eine elegante, schlanke, langbeinige Schönheit mit einem ebenso tollen Charakter werden würde, konnten wir uns damals fast nicht vorstellen.

Ich hänge meinen Gedanken nach und vertrödle die Zeit. Müsste ich doch schon längst in der Küche sein und das Nachtessen zubereiten. Aber es war wirklich ein wunderbarer Spaziergang mit diesem intelligenten und folgsamen Hund…..

Die Kartoffeln sind bereits gekocht, schnell schälen, schneiden und buntes Gemüse dazu und schwupps habe ich ein gesundes und farbenfrohes Nachtessen: «Kartoffelsalat komplett». Ich liebe Kartoffeln in allen möglichen Variationen. Deshalb koche ich immer einen grossen – wirklich grossen – Topf davon. Gestern gab es «Gschwellti», heute bunten Salat und morgen eine goldbraune knusprige Rösti mit Spiegelei. Alles schnell auf dem Tisch – perfekt für Berufstätige!

Dass dieses Nachtschattengewächs zur gleichen Familie wie die Tomate und der Tabak gehört, verrät ihr Äusseres wirklich nicht. Die Süsskartoffel hingegen sei nur eine sehr entfernte Verwandte, erzählt Wikipedia. Wikipedia sagt noch viel mehr: fast 400 Millionen Tonnen werden jährlich geerntet, sie ist das wichtigste Nahrungsmittel der Welt und wird auch als Tierfutter und in der Industrie verwertet…

Meine Mutter hat uns immer Kartoffelwickel aufgelegt, wenn wir krank waren. Und gegen kleine Fremdkörper, legte sie eine rohe Scheibe davon direkt auf die Haut. Sie sagte auch, dass Kartoffeln dumm machen, vielleicht schmeckten sie ihr nicht?

Die Samen werden in tomatenähnlichen Beeren gebildet – diese sind wie alle grünen Teile leicht giftig. Sie enthalten Solanin – sogar die Keime der Knolle sind nicht geniessbar. Aber die Knolle schmeckt einfach köstlich!

Endlich kommen meine Gedanken doch noch in der Küche an. Wo sind meine Kartoffeln? Zwei kleine braune Knollen liegen in der Pfanne fast ganz zugedeckt mit Wasser. Und der Rest? Im Kühlschrank? Unlogisch!

Was hat sich mein Mann gedacht? Handy: »Wo sind die Kartoffeln? Hast du sie gegessen?!?» Er lacht:» Ich bin unschuldig. Frag doch deinen Sohn? Der hatte vielleicht Hunger?». Da höre ich den Missetäter kommen und fahre ihn an: «Was fällt dir ein, unser Nachtessen zu verspeisen? Was denkst du dir eigentlich? Sollen für zwei Personen zwei Knollen fürs Nachtessen reichen?» schnaube ich ihn wütend an. «Mum, beruhige dich! Ich habe seit 10 Jahren eine eigene Küche und einen eigenen Kühlschrank!» – Erstaunt wende ich ein: «Warst du denn heute Mittag nicht hier?» – «Doch…..du willst wissen wo dein Nachtessen verschwunden ist?…..Ashura – dein folgsamer Hund – war gerade mit den Vorderpfoten auf dem Kochherd und mit dem Kopf im Kochtopf als ich um die Ecke kam … .» – Ich schlucke leer und flüstere fast tonlos: «Entschuldige! Auf den Hund wäre ich nie gekommen…».

Mein Blick wandert zum leise schnarchenden Hund und da entdecke ich eine angefressene Kartoffel neben dem Hundebett und dem kugelrunden Bauch.

von Silvia